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Das Dilemma des Gartens Eden

Alle Länder, die den Planeten wenig belasten, erreichen viele soziale Standards nicht.

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Wenn es um die weltweit höchste Lebensqualität geht, landet die Schweiz im Ranking meist ganz weit oben. Wohl alle dafür wichtigen Faktoren sind hierzulande erfüllt: ein hohes Einkommen, eine gute Bildung, ein guter Arbeitsmarkt, eine hohe Lebenserwartung, demokratische Verhältnisse, eine hohe Lebenszufriedenheit und soziale Anerkennung. Die Grundbedürfnisse wie Nahrung, Hygiene und Zugang zu Energie sind ohnehin erfüllt. Allenfalls wegen der ungleichen Einkommens- und Vermögensverteilung gibt es Abstriche.

Eine Spitzenposition bei der Lebensqualität hat jedoch ihren Preis, wie eine Studie in «Nature Sustainability» zeigt: Kein Land der Welt ist demnach in der Lage, seinen Bürgern eine hohe Lebensqualität zu bieten, ohne dabei die Ressourcen des Planeten übermässig zu strapazieren. Alle Länder, die den Planeten wenig belasten, erreichen hingegen viele soziale Standards nicht.

Sehr plastisch zeigt die Studie somit ein Dilemma auf: Die Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen stehen teils in eklatantem Widerspruch zueinander: «Der Zugang zu Energie, Wasser, Bildung, Medizin sowie Industrie, Wachstum, Arbeit und Mindesteinkommen geht im Moment unweigerlich auf Kosten der Natur», sagt Reto Knutti vom Institut für Atmosphäre und Klima der ETH Zürich, der nicht an der Studie beteiligt ist. «Wenn bei gleicher Technologie und gleichen Wertvorstellungen alle auf der Welt auch nur annähernd wollen, was die westliche Welt heute hat, dann werden wir den Planeten so massiv überstrapazieren, dass wir dies langfristig nicht aufrechterhalten können.»

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Dreh- und Angelpunkt der Studie ist das Konzept der planetaren Belastbarkeitsgrenzen. Forscher um Johan Rockström vom Stockholm Resilience Centre stellten es 2009 vor. Der Grundgedanke: Die menschliche Hochkultur konnte sich nur entwickeln, weil das Klima innerhalb der letzten 10'000 Jahre recht stabil und diverse Ökosysteme intakt waren. Diese Umweltbedingungen definieren planetare Belastbarkeitsgrenzen, innerhalb deren sich die Menschheit frei entfalten kann. Ausserhalb dieser Grenzen wird es kritisch, nicht weil die Menschheit aussterben würde, sondern weil eine hohe Lebensqualität für alle Menschen längerfristig kaum möglich sein dürfte.

Die britische Ökonomin Kate Raworth hat die planetaren Grenzen mit sozialen Mindestschwellen ergänzt. «Belastbarkeitsgrenzen und soziale Mindestschwellen räumen mit einer gewissen Beliebigkeit in der Nachhaltigkeitsdiskussion auf, indem sie klare Referenzpunkte setzen», sagt Andreas Hauser von der Sektion Ökonomie des Bundesamts für Umwelt (Bafu), der ähnliche Betrachtungen für die Schweiz angestellt hat.

Elf soziale Schwellen

Die Studienautoren um Daniel O'Neill vom Sustainability Research Institute der britischen Universität Leeds haben die Belastbarkeitsgrenzen nun mit Umwelt-Fussabdrücken kombiniert und für 151 Länder berechnet, wie stark diese den Planeten in sieben Bereichen belasten: bezüglich CO2-Emissionen, Düngung mit Phosphor und Stickstoff, Verbrauch von Frischwasser, Material­bedarf, Belastung der Ökosysteme und Landnutzung. Zudem haben sie für all diese Länder bestimmt, ob sie elf für die Lebenszufriedenheit relevante soziale Schwellen erreichen.

Demnach liessen sich soziale Grundbedürfnisse wie Nahrung, Hygiene und ein Leben ausserhalb extremer Armut höchstwahrscheinlich in allen Ländern der Welt realisieren, ohne die Belastbarkeitsgrenzen zu sprengen. Für höhere soziale Faktoren wie eine gute Bildung, eine hohe Lebenszufriedenheit, sozioökonomische Sicherheit und eine hohe Lebenserwartung trifft das allerdings nicht zu. «Diese Ziele zu erreichen, verlangt ein Level an Ressourcenverbrauch, der zwei- bis sechsmal über einem nachhaltigen Level liegt», sagt Studienautor Daniel O'Neill. Auch die Schweiz überschreitet sechs der sieben planetaren Belastbarkeitsgrenzen.

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«Die Stärke des Ansatzes ist, dass er quantitativ ist», sagt Knutti, der auch Delegierter für Nachhaltigkeit an der ETH Zürich ist. «Das ist aber auch gleichzeitig eine Schwäche: Die Lebensqualität lässt sich nicht so einfach messen wie eine Temperatur. Und es gibt schon gar keine objektive Schwelle, oberhalb der man ein gutes Leben führen kann.» So entstehe der Eindruck einer Präzision, die nicht wirklich vorhanden sei. Warum etwa wird in der Studie eine zufriedenstellende Lebenserwartung mit 65 Jahren beziffert statt mit 75 Jahren? Entsprechendes gilt für die Belastbarkeitsgrenzen: Warum etwa sollte man die Erderwärmung wie in der Studie auf 2 Grad begrenzen und nicht auf 1,5 Grad? «Welche Indikatoren man benutzt und wo genau man den Schwellenwert ansetzt, darüber kann und soll debattiert werden», sagt Hauser vom Bafu. «Die unterschiedlichen Studien ergeben aber sehr ähnliche Botschaften.»

Bessere Ressourceneffizienz

Kurt Lanz, Leiter Infrastruktur, Energie & Umwelt von Economiesuisse, moniert, dass die Analyse der Autoren auf einem statischen Zustand der Gesellschaft mit den heutigen Bedürfnissen, Technologien und Dynamiken beruht. «Die Geschichte lehrt uns aber, dass es immer eine Weiterentwicklung gab», sagt Lanz. «Die Innovationstätigkeiten und die technologische Entwicklung werden fortschreiten. In Zukunft wird der gleiche Output mit weniger Ressourceneinsatz möglich sein. Zudem gehen wir davon aus, dass das Wachstum immer mehr qualitativ und weniger quantitativ stattfinden wird. Damit einher geht auch eine Entkopplung der Material- und Energieflüsse vom Konsum.»

Die Studienautoren halten es jedoch für unwahrscheinlich, dass eine bessere Ressourceneffizienz allein ausreicht. Ein Grund dafür sei, dass effizientere Technologien meist die Kosten senken, was Kapital für zusätzlichen Konsum freisetzt, der wiederum den Planeten belastet. Dieser sogenannte Rebound-Effekt schmälert den Nutzen der Effizienzmassnahmen. Daher brauche es eine zweite Strategie: In der westlichen Welt müssen wir unsere materiellen Wünsche zurückschrauben. Die Forscher sprechen von Suffizienz. Das müsse allerdings nicht zwingend wehtun, weil die reichen Länder mit Konsum quasi übersättigt sind. Hier lasse sich der Ressourcenverbrauch reduzieren, ohne das Lebensglück nennenswert zu schmälern.

Das sei eine schwierige Botschaft, sagt Philippe Thalmann, Umweltökonom an der ETH Lausanne. «Wie kann eine Demokratie ihre Bürger dazu bringen, dass sie ihr Glück weniger im materiellen Konsum suchen?» Immerhin zeige die Studie, dass gewisse soziale Ziele mit wenig Ressourcenverbrauch erreicht werden können und deren Stärkung wohl auch bei anderen Indikatoren zu Verbesserungen führen würde. Zum Beispiel führen gute soziale Netzwerke (mehr Freunde und Verwandte, nicht Facebook) und weniger Unterschiede bei den verfügbaren Einkommen laut Thalmann wohl auch zu einer höheren Lebenszufriedenheit und vielleicht sogar zu einer höheren Lebenserwartung.

Für Knutti ist die Forderung nach Suffizienz einleuchtend. «Aber meine Vermutung ist, dass das erst geschehen wird, wenn wir nicht mehr anders können. Es entspricht nicht der Natur des Menschen, sich mit weniger zu begnügen, wenn es mehr gibt. Dafür müsste sich unser Wertesystem fundamental ändern.»

Stationäre Wirtschaft

Weiter legen die Studienautoren nahe, sich vom Bruttoinlandprodukt (BIP) zu verabschieden und stattdessen andere Indizes als Mass für Fortschritt zu wählen. In den westlichen Ländern wären sogar ein Wachstumsrückgang (degrowth) in Betracht zu ziehen oder andere ökonomische Modelle wie eine stationäre Wirtschaft, bei der über lange Zeiträume kein Wirtschaftswachstum vorgesehen ist.

Lanz von Economiesuisse bezweifelt, dass das taugliche Ansätze sind. «Statt auf der Grundlage irgendeines Fussabdrucks die Konsumenten zu bevormunden, wollen wir lieber unsere Unternehmen stärken und ihnen helfen, ihre Effizienzlösungen weiter in die Welt hinauszutragen», sagt Lanz. «Die weltweiten Einsparungen durch technische Innovationen aus der Schweiz haben eine deutlich grössere Hebelwirkung als Suffizienzansätze im Inland.»

Für Hauser vom Bafu ist «der Trans­formationsbedarf für Wirtschaft und Konsum von einer Tragweite, die mit der Digitalisierung vergleichbar ist». Manche Unternehmen hätten das Ausmass des Handlungsbedarfs erkannt und hinterfragten ihre Geschäftsmodelle grundlegend. «Zunehmend setzt sich auch die Erkenntnis durch, dass die Verantwortung entlang der gesamten Lieferkette gilt und nicht nur am Standort Schweiz. Wo allerdings die Kostenwahrheit fehlt, stimmen die Anreize für die Unternehmen nicht.»

Verzicht auf Erdöl möglich

In den Bereichen Wohnen und Verkehr zeichnet sich laut Hauser ab, dass ein Verzicht auf Erdöl ohne Komforteinbussen möglich wäre. Voraussetzung sei die Bereitschaft, die Weichen entsprechend zu stellen. Sorgen bereitet ihm der Flugverkehr, der wächst, ohne den Technologiesprung zur Nachhaltigkeit geschafft zu haben. Bei der Ernährung könne jeder einen Beitrag leisten, indem Lebensmittelverluste reduziert und tierische Produkte massvoll konsumiert würden.

Thalmann bezweifelt, dass unsere wirtschaftlichen und politischen Systeme dazu fähig sind, einen ressourcenschonenden Weg zu hoher Lebens­zufriedenheit zu gehen. «Solange Wohlstand mit mehr Ressourcenverbrauch einhergeht, ist mehr Wohlstand für alle nicht mit den begrenzten Ressourcen unseres Planeten vereinbar. Das geht nur, wenn in den aufstrebenden Ländern ein anderer Wohlstand gesucht wird und wenn auch wir unseren Lebensstandard so anpassen, dass er mit viel weniger Ressourcen beibehalten werden kann. Entweder wir finden alle unsere Wege zu diesem Ziel, oder der Kampf um die verbleibenden Ressourcen wird sich verstärken.»